Die Revolution in Libyen hat vorerst gesiegt: Nach internationalen Presseberichten sind die Truppen des Diktators Gaddafi und seine Getreuen in die Enge getrieben worden, Chaos macht sich breit. Während einige der Gaddafi-Anhänger_innen bis zum Ende kämpfen wollen haben andere sich bereits ergeben oder stehen in Verhandlungen, die Rebellen haben die ehemalige Hauptstadt Tripolis eingenommen und rücken nun auf Gaddafis Heimatstadt Sirte vor. Kurz, das Kunststück ist gelungen: Gegen die organisierte Gewalt des Regimes konnten die verschiedenen Gruppen Libyens vereint werden und koordiniert zuschlagen, die Diktatur vorerst beseitigen. Doch wie geht es weiter?
Der Aufstand gegen Gaddafis Regime in Libyen nahm seinen Anfang im Januar 2011. Die seit langem arbeitende (und unterdrückte) Opposition in Libyen organisierte damals eine Delegation für ein Gespräch mit Gaddafi in dem sie bessere Wohnbedingungen, Ausbildungschancen und Arbeitsplätze forderten. Als ihre Wünsche abgelehnt wurden kam es nach großen Demonstrationen im Januar und Februar zu einem Massaker an friedlichen Demonstrant_innen am „Tag des Zorns“ am 17. Februar. Dies führte zu einem bewaffneten Aufstand verschiedener oppositioneller Kräfte, religiöse Gruppen waren ebenso dabei wie libyschen Minderheiten der Berber, Tuareg und Tubu und eine wachsende Gruppe von Jugendlichen. Nach der Eroberung der Hochburg Benghazi und anfänglichen Rückschlägen gelang es den Rebell_innen ihren Kampf zu stabilisieren und in einem langsamen Vormarsch, in koordinierten Aktionen mit den Stammeskräften, den städtischen Brigaden und den NATO-Flugzeugen bis in die größte Stadt, Tripolis vorzurücken. Vor allem in den Arbeiter_innenvierteln kam es zu Erhebungen der Bevölkerung, die sogar den Stadtkommandanten dazu zwangen sich auf die Seite der Aufständischen zu schlagen. So konnte die Stadt recht schnell eingenommen werden, der größte Teil des Landes steht mittlerweile unter Kontrolle der Rebell_innen. Auch wenn Gaddafi bisher nicht gefasst wurde ist seine Herrschaft wohl zu Ende.
Die Bombenflugzeuge der NATO haben ohne Frage eine große Rolle in diesem Kampf gespielt – sie verhinderten den Einsatz von Kampfflugzeugen auf Seiten des Gaddafi-Regimes und zerstörten zahlreiche Geschützstellungen und Waffenlager – ebenso wie Wohnviertel, Schulen und Krankenhäuser. Die NATO führte diesen Krieg also, wie sie jeden Krieg führt – ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Sie arbeitet eng mit dem Nationalen Übergangsrat („TNC“) zusammen, der aus ehemaligen Würdenträgern (nur Männern) des Regimes und wohlhabenden Libyern im Exil besteht. Sie kämpfen nicht für eine Befreiung der Libyer_innen sondern für ihre eigenen Profitinteressen, und sind daher eine große Gefahr für die Revolution. Ihre Interessen fasst der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Keitel, ehrlich zusammen: „Die Freiheit, die Millionen von Menschen gerade gewinnen, bietet auch wirtschaftliche Chancen – auch für deutsche Unternehmen."
Bei der libyschen Revolution handelt es sich nicht um eine Revolution der Arbeiter_innen und Kleinbäuer_innen – es ist eine demokratische Revolution, in die auch die Besitzenden und Reichen involviert sind, die sich von einer neuen Regierung bessere Profite erhoffen. Das bedeutet jedoch auch, dass die Kräfte die den Übergangsrat beherrschen kein Interesse haben, der libyschen Bevölkerung mehr als ein paar Almosen in Form von sozialen Zugeständnissen und demokratischen Rechten zu überlassen. Auch die NATO hat ihre ganz eigenen Interessen, die noch nicht einmal etwas mit Demokratie zu tun haben. Ihnen geht es um die riesigen Ölreserven in Libyen, für die sie Gaddafi lange genug umschmeichelt haben. Der Grund, warum sie sich gegen den Diktator gestellt haben ist ebenso einfach: Nachdem die Opposition zu stark war, als dass die imperialistischen Staaten weiter Profite hätten machen können (Streiks und Aufstände wirken sich nämlich nicht so super auf die Ölfördermenge aus) beschlossen sie, ihren alten Kumpel fallen zu lassen, um eine neue Marionettenregierung zu installieren. Das ist die Gefahr, die von den Bürgerlichen ausgeht.
Doch sollte man stattdessen Gaddafi verteidigen? Einige linke Kräfte, allen voran der venezolanische Präsident Hugo Chavez sehen ihn als antiimperialistischen Kämpfer, der gegen die NATO unterstützt werden sollte – auch viele stalinistische „kommunistische“ Parteien, wie die von Malta verteidigten das Regime bis zum letzten. Das ist jedoch genau so falsch wie Hoffnungen in die NATO zu haben. Gaddafi war ein treuer Verbündeter des Imperialismus. Selbst nach seiner Machtübernahme war der Zweig der libyschen Wirtschaft, den er nicht verstaatlichen ließ die Ölindustrie, aus der US-amerikanische Firmen ihren Profit zogen. Gleichzeitig unterdrückte er Opposition und Bevölkerung grausam, schlug Streiks, Demonstrationen und Aufstände mit Waffengewalt nieder. Handelt so ein fortschrittlicher Kämpfer?
Das wichtigste ist jetzt, dass die Revolution nicht stehen bleibt. Der bisherige Aufstand gleicht einer demokratischen Demonstration, in der Arbeiter_innen und Bürgerliche zusammen kämpfen – es darf jedoch nicht passieren, dass die Bürgerlichen zusammen mit den NATO-Imperialist_innen die Macht in den Händen behalten. Denn sie wollen ein neues Regime errichten, das Regime des Kapitals nur mit anderer Fassade, und es wurde jetzt zu viel gewonnen um das zuzulassen. Stattdessen sollten die Arbeiter_innen, kleinen Bäuer_innen, die Jugendlichen und unterdrückten Schichten gemeinsam weiterkämpfen und die demokratische in eine sozialistische Revolution übergehen lassen, wie es Leo Trotzki in seiner Theorie der Permanenten Revolution beschrieb. Natürlich sollten sie jede demokratische Errungenschaft verteidigen und jede Forderung nach neuen Rechten – wie Presse-, Meinungs- oder Glaubensfreiheit – unterstützen.
Dem bürgerlichen und pro-imperialistischen Übergangsrat und seinen Regierungsbestrebungen muss jedoch eine Absage erteilt werden. Stattdessen sollten sich die Rebell_innen in Räten in ihren Heimatorten und Stadtteilen organisieren, die Produktion unter die Kontrolle der Beschäftigten stellen und eine verfassungsgebende Versammlung wählen, die eine demokratische Regierung auf Räte-Basis zur Folge hat. Auf keinen Fall dürfen die Rebell_innen die Waffen aus den Händen geben – denn schon jetzt arbeiten NATO und Teile des Nationalen Übergangsrates mit den ehemaligen Größen aus Polizei, Militär und Geheimdienst zusammen. Diese Menschen haben eine große Erfahrung darin, Opposition niederzuschlagen und sie werden sie nutzen.
Die Aufgabe in Libyen ist es nun, die in Stämme, unterdrückte Minderheiten und Volksgruppen aufgeteilten unterdrückten Schichten zu vereinigen. Dabei muss einer Spaltung vorgebeugt werden, indem den Minderheiten (zum Beispiel Tuareg-Nomad_innen oder Berber) gleiche Rechte ebenso zugesprochen wird wie den etwa 500.000 Migrant_innen die in Libyen arbeiten. Gemeinsam muss jetzt die demokratische Revolution in eine permanente umgewandelt werden – eine große Aufgabe.
Auf ihren sozialen Netzwerken verbeiten

