Als vorgestern, am 18.8. Bomben, Mörsergranaten und Schnellfeuergewehre gegen einen Bus im nordisraelischen Eilat eingesetzt wurden ahnten viele, dass die israelische Regierung dies für ihre Zwecke nutzen würde. Und tatsächlich äußerte sich schon am selben Tag Verteidigungsminister Ehud Barak zu den Anschlägen: Er betonte, dass sie wohl aus dem ägyptischen Sinai (der Halbinsel, die an Israel grenzt und jahrzehntelang besetzt war) aus geplant und ausgeführt worden seien. Doch „die Quelle dieser Terrorangriffe liegt in Gaza“ behauptet er weiterhin – und die ihm unterstellte IDF (Israeli Defence Force, israelische Armee) nahm dies zum Anlass, in der Nacht von 18. auf 19. August wieder Bombenterror in Gaza zu verbreiten, obwohl sich eine Organisation namens „al-Quaida von Sinai“ zu den Anschlägen bekannt hatte (die vermutlich nicht aus Gaza, sondern aus Sinai kommt). Mindestens 7 Menschen, darunter ein Jugendlicher und zwei Angehörige des ägyptischen Militärs fielen den israelischen Bomben zum Opfer.
Die Anschläge der islamischen Fundamentalist_innen sind sinnlos, falsch und zu verurteilen – aber nicht aus den Gründen, die die kleinbürgerliche Linke uns vorgibt, nicht weil das eine Vorlage für den israelischen Staat sei noch mehr Bomben abzuwerfen, noch unterdrückerischer gegen die Bevölkerung in Gaza vorzugehen. Gründe dafür findet das Netanjahu-Regime immer, vor allem jetzt, wo eine fortschrittliche Bewegung den Staat von innen erschüttert, gegen hohe Preise und Korruption als jüdische und muslimische Bevölkerung gemeinsam protestiert. Auch nicht, weil Proteste gegen den Staat Israel und seine Besatzungspolitik grundsätzlich falsch wären. Nein, sondern weil es eben nicht die jüdische Mehrheitsbevölkerung oder ein paar Urlauber_innen sind, die das Land spalten und die Palästinenser_innen unterdrücken und weil Anschläge auf die Zivilbevölkerung niemanden weiter bringen.
Es sind wie immer die, die den Nutzen daraus ziehen, gegen die gekämpft werden müsste. Es sind die israelischen Machteliten die mit dem Zionismus eine konstruierte Theorie vertreten, warum die palästinensische Bevölkerung in Israel kein Recht auf ein vernünftiges Leben, auf gerechte Bezahlung, Lebensstandard oder Wohnraum haben soll. Es sind die Kapitalist_innen beider Länder, die Palästinenser_innen dreckig bezahlen können weil diese sonst gar nichts haben und die nebenbei auch noch jüdische und muslimische Arbeiter_innen gegeneinander ausspielen, damit es ja keinen gemeinsamen Widerstand gibt. Es ist der US-amerikanische Imperialismus, der sich über eine Militärbasis in Israel nahe des ölreichen Persischen Golfs freut, in dem es kaum demokratische Kontrolle gibt und Anti-Kriegs-Bewegungen mit Wasserwerfern und Gummigeschossen zerschlagen wird. Und es sind nicht zuletzt auch die palästinensischen Herrschenden und ihre religiöse Führung denen es alle mal lieber ist, die verzweifelte Bevölkerung aus dem Gaza-Streifen auf Quassam-Raketen und antisemitische Vorurteile hoffen zu lassen, damit sie sich nicht gemeinsam mit ihren israelischen Schicksalsgenoss_innen gegen die Unterdrücker_innen beider Seiten erhebt.
Das System, dass all diese Interessen so gut bedient nennen wir einen Apartheidsstaat: Weil hier Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft (als Palästinenser_innen) benachteiligt und ihnen Grundrechte verweigert werden. Weil ein riesiger Polizeiapparat mit brutaler Gewalt auf alle Versuche antwortet, Kritik zu üben und die Ungerechtigkeit aufzuheben. Dieser Apartheidsstaat sorgt dafür, dass die vorher aufgezählten Interessen gewahrt bleiben und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen von einander getrennt bleiben.
Die israelische Elite hat gegenwärtig zwei große Probleme – auf der einen Seite lässt es sich ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr gefallen, schamlos ausgebeutet zu werden und hält auch nicht mehr den Mund, weil Kritik am System sofort als Antisemitismus oder unpatriotische Aufmüpfigkeit verdammt wird. Zehntausende gingen in den letzten Monaten auf die Straßen und protestierten gegen die rechte Regierung, gegen die Ungerechtigkeit und gegen die unerträglichen Lebensumstände. Und das waren die besser gestellten Teile der Bevölkerung, die jüdischen Arbeiter_innen, die vom System noch die kleinen Almosen aus der Über-Ausbeutung der palästinensischen Minderheit zugeworfen bekamen, damit sie sich nicht gegen die Spaltung ihrer Klasse und ihrer Interessen engagierten!
Und auf der anderen Seite gibt es da die Palästinenser_innen, die die Idee eines palästinensischen Staates weiter verfolgen und die im Herbst vor der UN-Versammlung den Antrag auf Anerkennung ihres eigenen Staates stellen wollen. Da kommt es Premierminister Netanjahu natürlich sehr zugute, dass er wieder einmal Gaza bombardieren lässt und anschließend mit den verzweifelten Palästinenser_innen, die ihre Kinder, Brüder, Schwestern und Bekannten verlieren nicht verhandeln muss. Umso besser noch, dass Ägypten, das seine Einstellung zu Israel von der vollkommenen Unterordnung, die Mubarak praktizierte ein wenig verändert hat auch noch in diese Anschläge verwickelt ist.
Die Bestrebungen für einen eigenen palästinensischen Staat greifen jedoch noch zu kurz. Auch ein einzelner Staat wird sich der Unterdrückung durch Israel, diesen westlichen Handlanger des Imperialismus, nicht entziehen können. Erst recht nicht nach dem im Gaza-Krieg 2008 die industriellen Grundlagen des Gebietes zerbombt wurden, die Arbeitslosigkeit bei etwa 80% liegt. Gerade dann wird auch ein eigener palästinensischer Staat massiv von Israel und Konsorten abhängig sein – die das ausnutzen werden. Nein, die palästinensische und die israelische Arbeiter_innenklasse haben ein gemeinsames Ziel: Einen säkularen, gemeinsamen, sozialistischen Staat. Sie dürfen sich nicht spalten, von ihren jeweiligen Führungen aufhetzen und gegeneinander in den Kampf schicken lassen – sondern gemeinsam für ihre Zukunft kämpfen.
Natürlich ist auch klar, dass diese Bewegung aus den palästinensischen Gebieten ausgeht und ausgehen muss – natürlich sind Elend, Arbeitslosigkeit und rassistische Unterdrückung eine stärkere Grundlage für Widerstand als die israelische Arbeiter_innenklasse, die auch ein Stück vom Kuchen der imperialistischen Unterdrückung abbekommt. Diese „Bestechungspolitik“, die alle imperialistischen Herrscher_innen betreiben beruht darauf, Arbeitskraft im Ausland auszubeuten und den Widerstand im eigenen Land nieder zu halten indem man den Lebensstandard der Arbeiter_innen ein wenig höher hält als es unbedingt notwendig wäre. Doch es wäre ein großer Fehler, zu glauben dass dies ein Vorteil für die „bestochenen“ Arbeiter_innen wäre. Dass der Kapitalismus über nationalstaatliche Grenzen hinaus ausbeutet heißt auch, dass er diese Grenzen gezielt nutzt, um die ArbeiterInnenklasse zu hindern einen internationalen Widerstand aufzubauen. In diese Falle dürfen die Arbeiter_innen nicht nachstehen – sie müssen sich über die Grenzen hinweg organisieren und im Kampf gegen die Ausbeutung zusammenarbeiten.
Gleichzeitig ist die Arbeiter_innenklasse in den palästinensischen Gebieten, besonders im Gaza-Streifen nur sehr klein und schwach ausgebildet. Eine organisierte Arbeiter_innenbewegung aus Gewerkschaften, Parteien, etc., wie wir sie aus den imperialistischen westlichen Ländern kennen gibt es kaum. Daher ist es notwendig, in diesen Ländern auch mit nicht-proletarischen unterdrückten Klassen zusammen zu arbeiten, wenn es um die Beseitigung der Unterdrückung geht. Im Fall von Palästina bedeutet das, für gewisse Aktionsziele (wie zum Beispiel einem Angriff auf Grenzposten oder einer militärischen Verteidigung palästinensischer Gebiete) auch mit der kleinbürgerlich-religiösen Führung zusammenzuarbeiten. Niemals darf man aber dafür aufhören, sie zu kritisieren und ihre Unfähigkeit vorzuführen, die Arbeiter_innen, Bauern und Bäuerinnen, und Arbeitslosen erfolgreich zu führen. Der Klassenstandpunkt, also die wirtschaftlichen Interessen dieser Kräfte machen es ihnen unmöglich, konsequent gegen Kapitalismus und Imperialismus zu kämpfen, und damit der Unterdrückung und dem Elend des palästinensischen Volks ein Ende zu bereiten.
Jedoch muss auch die rückschrittliche Rolle, die diese Kräfte spielen berücksichtigt werden – und man muss sich dagegen vorbereiten. Die Muslimbruderschaft in Ägypten zum Beispiel, die während des Umsturzes manchmal beteiligt war, stellt jetzt im Aufbau eines neuen Staates eine bremsende und reaktionäre Kraft dar. Statt in der neuen Diktatur unter Tantawi die Revolution weiter zu treiben, für mehr Rechte, für Verstaatlichung der Produktionsmittel unter Arbeiter_innenkontrolle und die Entmachtung der Ausbeuter_innen zu kämpfen attackieren sie linke Demonstrationen und Streiks und verdammen den Säkularismus (die Trennung von Staat und Religion).
Eine ähnliche Rolle werden auch die religiösen Führer_innen in Palästina spielen, wenn es gelingt einen Kampf zu gewinnen. Es wäre aber dumm, einfach abseits zu stehen und ihnen die von Elend, fehlender Bildung und ständigem Krieg in die Verzweiflung getriebenen Massen zu überlassen, weil man nicht mit ihnen zusammenarbeiten will. Stattdessen muss man offen darlegen, was unsere Kritik an ihnen ist und in der gemeinsamen Aktion beweisen, dass unsere revolutionär-kommunistische Perspektive die Richtige ist – und ihre die Falsche.
Auch gestern Nacht flog Israel wieder Angriffe, tötete Zivilist_innen und droht mit einem erneuten Einmarsch. Um die innenpolitische Situation zu beruhigen (mit Gewalt) und zu zeigen, wer „der Herr im Haus ist“ (mit Gewalt) wird der israelische Staat seinen Terror aus Bomben, Blockaden und Bestechung weiter aufrecht erhalten. Dagegen muss sich der entschiedene Kampf der Palästinenser_innen und der Israelis richten – und auch unsere entschiedene Solidarität gegen diesen Apartheidsstaat!
Für eine dritte Intifada und ein freies, gemeinsames, sozialistisches Palästina!
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